Der Vorgarten von Opa Lüttge lag an einer Straßenkreuzung und ging um die Ecke seines Hauses. Opa Lüttge hatte sehr viel Zeit investiert, um aus diesem schmalen Garten ein kleines Schmuckstück zu machen.
Mit Stirnrunzeln beobachtete er die Entwicklung, daß seine Nachbarn einer nach dem anderen ihre schönen grünen Vorgärten aufgaben und mit Zementplatten oder grauem Lavagestein in ebenso leblose und monotone, wie auch pflegeleichten Steinwüsten verwandelten.
”Die wollen halt die Arbeit nicht mehr machen”, klagte er und meinte: “Aber hier kommen doch so viele Leute vorbei, die wollen doch auch was Schönes zum Angucken haben.”
Das erzählte mir der alte, etwa 70jährige Mann, als er durch uns seine Frau Johanna beerdigen lassen mußte und vor der Frage stand, ob er ein pflegeleichtes Grab mit Steinplatte oder eines zum Bepflanzen nehmen sollte.
”Ich nehme ein pflegeleichtes Grab”, beschloß er, “Selbst wenn ich das jetzt noch gerne pflegen und bepflanzen würde, ich bin ja auch schon alt und wenn ich dann mal tot bin, wer soll das dann machen?”
Deshalb hatte er auch bei uns schon alles für seine eigene Beerdigung geregelt und bezahlt. Er wollte eines Tages eingeäschert werden und dann zu seiner Frau ins Grab. “Da macht ihr dann einfach noch meinen Namen mit auf den Grabstein und nach fünfzehn Jahren ist alles weg. Es kommt ja sowieso keiner an mein Grab, wir haben ja niemanden. Aber so ganz ohne Grab will ich auch nicht sein, vielleicht gibt es ja doch Leute, die da mal stehen bleiben und an meine Hanna und mich denken.”
Ach, er vermißte seine Hanna so, aber er war auch ein bißchen erleichtert, denn die Pflege seiner über viele Jahre kranken Frau hatte ihn sehr mitgenommen, aber was noch schlimmer war, er hatte so stark mitgelitten, als sie immer schwächer, dünner und todsterbenskranker wurde.
”Die hat mir so leid getan, das konnte ich fast nicht mehr mit ansehen.”
Jetzt wolle er, so erzählte er mir, zuerst einmal einen langgehegten Wunsch in die Tat umsetzen.
”Schon gleich als ich in Rente ging, habe ich unbedingt mal nach Amerika gewollt. Das ging dann aber wegen Hanna nicht mehr. Wissen Sie was? Ich mach das jetzt! Jetzt fahr ich nach Amerika und guck mir New York an, und die Niagara-Fälle!”
”Machen Sie das! Das werden Sie nicht bereuen, aber fahren Sie über die Rainbow-Bridge nach Kanada rüber, von da sehen die Fälle viel atemberaubender aus”, riet ich ihm, denn ich war auch schon mal dort gewesen.
Er freute sich über den Tip, bedankte sich, zahlte seine Rechnung, wie alte Leute das oft tun, in bar und ging.
Ich habe dann lange nichts mehr von ihm gehört.
Erst fast ein Jahr später kam ich durch Zufall an seinem Haus vorbei und sah ihn in seinem Vorgarten werkeln. Er steckte Spieße in den Boden und ich fragte ihn, was er denn da mache.
”Ich? Ach, ich war doch in Amerika und Sie haben Recht gehabt, von der kanadischen Seite aus sieht das viel toller aus. Überhaupt ist Kanada ja das schönere Amerika, so wie die Schweiz das schönere Deutschland ist”, lachte er und sagte: “Stellen Sie sich vor, in Niagara on the Lake, das ist so ein Ort da, da gibt es einen Laden, da kann man mitten im Sommer Weihnachtssachen kaufen. Die haben das ganze Jahr Weihnachtsrummel. Wahnsinn, sage ich Ihnen.
Und da habe ich so süße Engelchen gefunden, die ich gut im Koffer mitnehmen konnte und jetzt kann ich es gar nicht abwarten, daß in zwei Tagen der erste Advent ist, denn ich will diese beleuchteten Engelchen in meinem Garten aufstellen. Da freuen sich die Mütter mit ihren Kindern, wetten!?”
Tatsächlich hat er dann die wunderschönen Engel, sechs an der Zahl, in seinem Vorgarten aufgestellt und schön beleuchtet. Das sah sehr festlich aus.
Es verging ein ganzes Jahr, ich habe Opa Lüttge zwar ein paar Mal von weitem gesehen, aber nicht mit ihm gesprochen, da sah ich, daß er seine weihnachtliche Dekoration um einen großen Santa Claus erweitert hatte.
Vom Fenster aus winkte er mir zu und rief über den Zaun: “Letztes Jahr war ein amerikanisches Ehepaar hier und hat meine Engel bewundert, die haben mir den Nikolaus geschickt. Der ist zwar nicht aus Kanada, aber in Philadelphia gibt es auch einen schönen Weihnachtsladen.”
Und wirklich, man sah von da an immer häufiger Leute, die wohl extra wegen Opa Lüttges Weihnachtsdekoration gekommen waren.
Zwanzig Meter Leuchtketten an seinem Giebel entlang, die sechs beleuchteten Engel, der große Nikolaus, eine Krippe mit Holzfiguren und natürlich ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum lockten die Menschen an.
Ein Jahr später hatte Opa Lüttge sich selbst übertroffen. Ich wußte allerdings schon vorher, was er geplant hatte, denn er hatte eines Tages freundlich gefragt, ob wir ihm in unserer Werkstatt ein Brett zersägen könnten.
Nun ist ja mein Bestattungsunternehmen nicht, wie viele andere, aus einer Schreinerei hervorgegangen und so ist unsere Werkstatt auch nicht unbedingt eine perfekte Schreinerwerkstatt. Aber im Laufe der Jahre haben sich doch so einige Werkzeuge angesammelt, denn irgendetwas gibt es immer zu montieren, zu reparieren oder zu bauen.
So hatte Manni dem Alten einfach freie Hand gelassen und ihm erlaubt, an der Werkbank so oft und so lange er will, zu arbeiten.
Genau aus diesem Grund wußte ich, daß Opa Lüttge eine Weihnachtspyramide, die er auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hatte, im Riesenformat nachbaute. Stolze drei Meter sollte sie hoch werden und sich, angetrieben von einem alten Scheibenwischermotor langsam drehen.
Als es dann am ersten Advent so weit war und er den Sichtschutz aus Plane entfernte, war auch ich mit meinen Kindern zugegen und staunte nicht schlecht.
Zwar hatte ich die kleine Pyramide gesehen, die ihm als Vorlage gedient hatte und hatte auch die Teile gesehen, die er gesägt und geleimt hatte, jedoch hatte ich keinerlei Vorstellung davon, wie groß und schön die Pyramide dann in Wirklichkeit aussah.
Sie war weit über drei Meter hoch, hatte fünf Etagen, die sich immer abwechselnd anders herum drehten. Unten waren dicke Kerzen mit elektrischen Birnen, die so kunstvoll nachgebildet waren, daß man denken konnte, sie wären wirklich aus Wachs.
In der Etage darüber saßen bunte Holzfiguren auf Schaukelpferden, auf einer Wippe und in einer von Rentieren gezogenen Kutsche. Die Schaukelpferde gingen auf und ab, die Wippe wippte und die Räder der Kutsche drehten sich.
Die dritte Etage gefiel mir persönlich ganz besonders, denn dort hatte Opa Lüttge eine komplette elektrische Eisenbahn aufgebaut, auf der zwei Züge auf zwei Kreisen ihre Runden drehten.
Mich faszinierte vor allem die kleine Eisenbahn, denn ich hatte als Kind so etwas nie und bin auch heute, als über 50jähriger Mann, immer noch ein großes Spielkind.
In der vierten Etage hatte Opa Lüttge sechs Engel angebracht. Einer mit einer Posaune, einer mit einer Harfe, ein Engelchen mit gefalteten Händen, eins mit geöffnetem Mund und einem Notenblatt in den Händen, ein Engel mit einer Flöte und zuletzt einen mit einem hübsch eingepackten Geschenk in den kleinen Händchen. Alle Engel hatten natürlich Flügel, wie es sich für richtige kleine Weihnachtsengelchen gehört, und bei jeder Umdrehung der Pyramide klappten die Flügel einmal auf und zu und wieder auf.
Ganz oben in der fünften Etage wurde die Pyramide von einem funkelnden, goldenen Stern gekrönt.
Aus verborgenen Lautsprechern tönte leise Weihnachtsmusik und ringsherum standen am Zaun von Opa Lüttges Grundstück bestimmt an die vierzig Leute, vor allem Eltern mit ihren Kindern.
Es war wirklich wunderschön.
Opa Lüttge stand am Tor seines Gartenzauns und rieb sich zufrieden die Hände, er strahlte Glückseligkeit aus. So hatte er sich das vorgestellt, den Kindern eine Freude machen und den vorbeigehenden und -fahrenden Leuten einen schönen weihnachtlichen Gruß senden.
Und es fuhren in den kommenden Wochen viele Leute an seinem Grundstück vorbei. Das wurde dann besonders viel, als ein Reporter der Tageszeitung den Weihnachtsgarten fotografiert und in einem Artikel vorgestellt hatte.
Sobald es auch nur annähernd dunkel wurde, ging die Prozession los. Mütter mit Kindern, Ehepaare mit Kindern, Opas und Omas mit ihren Enkeln und überhaupt alles was Beine und Räder hatte, besuchte Opa Lüttges Weihnachtsgarten.
Ich freute mich für den alten Mann. Mit über 70 Jahren hatte er eine schöne Aufgabe gefunden und so sollte es auch nach seinen Vorstellungen bleiben. Jedes Jahr würde er von nun an diesen schönen Weihnachtsschmuck aufbauen und wollte das ganze Jahr nach neuen Teilen für die Gestaltung suchen.
Im nächsten Jahr, es war das vierte Mal, daß Herr Lüttge seinen Garten in dieser Weise schmückte, war es ganz besonders festlich. Am zweiten Advent hatte nämlich die Kirchenjugend vor seinem Haus einen Stand aufgebaut und Glühwein, Kinderpunsch und frisch gebackene Waffeln für einen guten Zweck verkauft. Da waren so viele Leute gekommen, daß man fast die Polizei hätte rufen müssen, um die Fahrbahn für den Verkehr frei zu halten.
Mein Sohn hatte an diesem Tag keine Lust mitzukommen, er wollte lieber “am Computer zocken” und meine Tochter langweilte sich lieber vor dem Fernseher.
Mich jedoch konnte nichts zu Hause halten, ich wollte unbedingt die Eisenbahn in der dritten Etage der Pyramide anschauen. Außerdem erinnerte mich der Engel mit der Flöte irgendwie an meine erste große Erstklässlerliebe Trixi Wrobel.
Einen Tag später mußte tatsächlich die Polizei kommen.
In der Nacht hatten Unbekannte Opa Lüttges Weihnachtspyramide umgeworfen, den geschmückten Tannenbaum auf die Straße geschmissen und den Santa Claus aus Amerika enthauptet.
Die Bilder vom weinenden Opa Lüttge, der die Trümmer seiner monatelangen Bastelarbeit in den Händen hielt, die im Regionalfernsehen gezeigt wurden, gingen mir sehr zu Herzen.
Gleich am nächsten Tag fuhr ich zu ihm und wollte ihm meine Hilfe anbieten. Aber ich war nicht der Einzige, es waren einige Leute gekommen. Doch Opa Lüttge schien den ersten Schmerz überwunden zu haben, schüttelte nur traurig den Kopf und sagte: “Laßt mal gut sein. Ich packe jetzt alles in den Keller und repariere es wieder und im nächsten Jahr mache ich wieder einen Weihnachtsgarten.”
Ach, was hat mir der alte Mann leid getan. Am Liebsten hätte ich ihn einfach in den Arm genommen und gedrückt und ihn dann mit nach Hause genommen, so ein Opa fehlt mir nämlich noch in der Sammlung.
Ein Jahr verging; und wie das so ist, die tägliche Routine sorgt dafür, daß man solche Ereignisse und solche Leute aus seinen täglichen Gedanken schiebt.
Erst nach Sommer, als es wieder herbstlich wurde, tauchte Opa Lüttge wieder in unserer Werkstatt auf. “Na, ist doch klar, ich mach’ meine Pyramide wieder heile!”
Was soll ich sagen? Es war ein richtig kleines Fest, als dann in der Adventszeit die Pyramide in neuem Glanz erstrahlte. Alles war auf das Vortrefflichste repariert, nur meine Trixi hatte ihre Flöte eingebüßt und hielt stattdessen eine dicke Pauke in den Händen, wozu ihr gespitzter Mund nicht so richtig passen wollte und ihr einen etwas frivolen Gesichtsausdruck verlieh.
Der Weihnachtsmann aus Amerika trug jetzt einen gestrickten Schal, der wirkungsvoll die Spuren der vorjährigen Enthauptung verdeckte.
Aber was soll’s?
Ich kann schlecht schätzen, aber bei dieser Pyramidenenthüllung waren bestimmt 100 Leute anwesend und klatschten lange Beifall, als die Pyramide sich zu drehen begann und die Beleuchtung des Tannenbaumes aufflammte.
Das war am ersten Advent.
Die ganze nächste Woche über war ich fast jeden Tag einmal kurz da, um nach “meiner” Eisenbahn zu schauen, die treu und brav ihre Runden drehte.
Doch einen Tag später war es vorbei mit der ganzen Herrlichkeit!
Wieder hatten die Übeltäter zugeschlagen!
Dieses mal hatten sie die Pyramide kurz und klein geschlagen, den Weihnachtsmann in tausend Stücke zertrampelt und den Tannenbaum wieder auf die Straße geworfen.
Das alles war nicht lautlos zugegangen, hatte aber nur wenige Minuten gedauert. Betrachtete man sich den Schaden, mußte man meinen, hier hätten Leute stundenlang ihren Zorn ausgetobt.
Aber eine Nachbarin, die Augenzeugin des Geschehens war, hatte der Polizei berichtet, es seien fünf junge Männer gewesen, kaum 15 Jahre alt, angetrunken, und sie seien um zwei Uhr nachts laut randalierend die Straße herunter gekommen und hätten dann keine drei bis vier Minuten gebraucht, um unter großem Gelächter und Gejohle Opa Lüttges Werk zu vernichten.
Die gehbehinderte Frau hatte so schnell sie konnte die Polizei angerufen. Auch Opa Lüttge hatte das Getöse vor seinem Haus gehört. Doch weil er hinten raus schlief und drei Treppen zu bewältigen hatte, kam er ebenso zu spät, wie der Streifenwagen.
Dieses Mal war es schlimmer als beim ersten Mal.
Opa Lüttge hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, war in Tränen ausgebrochen und als ein Polizist ihn fragte, ob er der Eigentümer des Gartens sei, wollte der alte Mann noch antworten, doch er konnte nur noch heiser röcheln, dann brach er zusammen.
Ich erfuhr davon, als ich am nächsten Tag zu meiner Eisenbahn wollte. Ein älterer Herr stand kopfschüttelnd am Zaun und erzählte mir ungefragt, was vorgefallen war. Opa Lüttge war ins Krankenhaus gekommen, sein altes Herz hatte den Schock nicht verkraftet.
Der Anblick den sein Vorgarten bot, war grauenvoll. Alles lag in Trümmern. Wie man in so kurzer Zeit so viel Kleinholz machen kann, bleibt mir bis heute ein Rätsel.
Die Übeltäter hat man übrigens nie erwischt, ich wünsche ihnen aber heute noch, daß ihnen ihre übermütigen Finger abfaulen mögen.
Es stand sehr schlecht um Opa Lüttge. Schnell hieß es im ganzen Stadtteil, der Alte würde nicht mehr lange machen und die übermütigen Jugendlichen hätten ihn auf dem Gewissen.
Da müsse man jetzt bald damit rechnen, daß er sterben würde, sagte man.
Doch Opa Lüttge berappelte sich nach 14 Tagen wieder, wie man im Ruhrgebiet so sagt. Und aus dem Krankenhaus kam die Kunde, der alte Mann sei auf dem Weg der Besserung und habe den Wunsch geäußert, bald wieder zu Kräften zu kommen, um seine Pyramide wieder aufbauen zu können.
Allgemein war die Freude unter den Leuten recht groß und der alte Mann war mehrere Wochen das Tagesgespräch.
Umso mehr war ich schockiert, als ich einen Tag vor dem vierten Advent vom Krankenhaus angerufen wurde, Herr Lüttge sei nun verstorben und könne von uns abgeholt werden.
Ich werde ja oft gefragt, wie man das als Bestatter immer so verkrafte, das mit den ganzen Toten und so…
Immer sage ich dann, daß wir als Bestatter ja im Normalfall die Verstorbenen nicht kannten und auch deren Leiden vorher nicht mitbekommen haben.
Die Leute von den Pflegediensten und “auf Station”, die haben es doch da viel schwerer, meine ich.
Aber Opa Lüttge habe ich ja nun gekannt; und ich habe ihn gemocht und deshalb habe ich damals ein bißchen weinen müssen, als ich die Todesnachricht bekam.
Wir haben ihn dann im Krankenhaus abgeholt, alle Formalitäten erledigt und ihn, so wie er es bestellt hatte, zum Krematorium gebracht.
Manni und unser ehemaliger Werkstattleiter Huber hatten sich in diesen Tagen mehrfach getroffen und im Keller am Grabkreuz für den alten Lüttge gezimmert. Ja, sie wollten da was Besonderes machen, haben sie zu mir gesagt.
Anfang Januar war dann die Urnenbeisetzung. Außer Frau Büser, Manni, meiner Frau und mir -und natürlich dem alten Pastor Bickermann- war niemand gekommen. Es hatte aber auch keiner etwas von dem Termin wissen können, denn auf Wunsch von Opa Lüttge hatte nichts in der Zeitung gestanden.
So eine Urnenbeisetzung ist eine rasche Angelegenheit. Es dauerte nur eine Viertelstunde, dann war der alte Herr Lüttge neben seiner Hanna beigesetzt. Und weil es nieselte und kalt war, war auch niemand böse, daß Pastor Bickermann auf langatmiges Drumherum am Grab verzichtete.
Trotzdem hatten wir alle das Gefühl, unsere Pflicht und Schuldigkeit getan zu haben.
Nur Manni wollte noch einen Moment am Grab bleiben und als wir anderen in den Wagen stiegen, kam uns das dreirädrige Elektrogefährt eines Steinmetzes am Eingang entgegen, bei dem Herr Huber auf dem Beifahrersitz saß.
Ach, dachte ich, arbeitet der auf seine alten Rentnertage auch noch für einen Steinmetz.
Daß Manni, Huber und der Steinmetz gemeinsam etwas vorhaben könnten, darauf war ich gar nicht gekommen.
Tatsächlich hatte Opa Lüttge ja aber seinen Grabstein schon vorbestellt gehabt und Manni hatte gleich den Auftragszettel zum Steinmetz gebracht.
Erst am Nachmittag meinte Manni dann zu mir: “So, Chef, jetzt ist das Grab für Opa Lüttge fertig, so wie es sein muß.”
Ich bin dann hingefahren und habe geguckt.
Und ich habe wieder geweint.
Manni und Huber hatten aus Metall eine etwa 30 Zentimeter große Weihnachtspyramide gebaut und seitlich auf den Sockel neben dem Grabstein montiert.
Da drehte sich nichts, da war alles nur filigran angedeutet, aber die sechs Engel die waren da.
Ganz wichtig aber: Sogar die kleine Eisenbahn hatten sie nicht vergessen.
So sehr Opa Lüttge den Menschen auch Freude bereitet hatte und so sehr man anfangs über sein Schicksal gesprochen hatte, so schnell schien er aber dann auch wieder in Vergessenheit geraten zu sein.
Jedenfalls sprach bald schon niemand mehr über ihn.
Als ich aber in diesem Jahr früh in der Weihnachtszeit auf den Friedhof kam, sah ich, daß jemand einen kleinen, mit Kunstschnee bestäubten Tannenbaum auf sein Grab gestellt hatte.
Das war doch eine nette Geste.
Ein paar Tage später entdeckte ich, daß jemand zwei erzgebirgische Weihnachtsfiguren auf den Stein gestellt hatte und eine Woche später war das Grab über und über mit einer Tannengirlande, Lametta und bunten Kugeln verziert.
So war es von da an jedes Jahr.
Die Leute, die das machten, kannten sich nicht, sie zeigten auf diese Weise nur über Jahre alle ihre Dankbarkeit für ein paar wenige Jahre, in denen Opa Lüttge seinen Weihnachtsgarten geschmückt hatte.
Und sie taten das die ganzen 15 Jahre lang, bis das Grab aufgelöst wurde.
Was aus dem Grabstein und der Weihnachtspyramide geworden ist, das weiß ich nicht.
Aber wenn jemand von Euch irgendwann einmal auf einen Friedhof kommt, wo an einem immergrünen Kirschlorbeerbusch fast nicht sichtbar zwei rote Weihnachtskugeln hängen, da war das Grab von Opa Lüttge.