Es ist gespenstisch.
Keiner spricht auch nur ein Wort, alle Mitarbeiter haben ihr Handy in der Hand und wischen oder tippen auf den Displays herum.
Frau Büser wirkt etwas unbeholfen dabei, Sandy macht das wieselflink mit zwei Daumen gleichzeitig und Antonia tippert mit hörbaren Tastenanschlägen.
Praktikantin Nadine und ich haben dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt und haben parallel dazu noch unsere jeweiligen Ohrhörer in den Ohren stecken.
Manni läuft durch die Halle, auch er mit einem Handy vor der Nase.
Sehr schwer tut sich der Fuhlst, in dessen großen Händen ein wirklich großes Smartphone wirkt wie ein kleines Kinderspielzeug.
Aber alle tippen, wischen, tappern und klimpern.
Ja, haben die Leute in einem Bestattungshaus denn nichts zu tun?
Ist etwas Wichtiges passiert, sodaß alle unbedingt auf dem Laufenden bleiben wollen?
Nein, nichts ist passiert und das ist auch nicht das normale Bild in unserem Unternehmen.
Ich schrieb ja eingangs, daß keiner auch nur ein Wort spricht, und das stimmt auch, keiner unterhält sich oder telefoniert, jedoch gibt man immer wieder kurz Antwort, wenn man angesprochen wird.
Und wer ist das, der einen da anspricht?
Es sind meine Kinder.
Sie sind ins Büro gekommen, so wie sie es immer mal wieder tun, der Große, um bei Sandy etwas “abzuhängen”, die Kleine, um bei Antonia und Frau Büser dem Weibergequatsche zu Lauschen und altklug mitzureden.
Nun hängen die beiden Kinder nicht ständig im Büro herum, es ist aber für sie unter anderem ein geschickt gewählter Rückzugsort, wenn oben in der Wohnung die allerliebste Mutter mit irgendwelchen Hausarbeiten gedroht hat oder angekündigt hat, die Kinder in die Pflege des Haushalts mit einzubeziehen.
Meine Tochter ist in die Halle gelaufen, wo der hünenhafte Fuhlst steht und sich Manni aufs Sofa gesetzt hat. Sie will unbedingt mit irgendwem reden, ihr Plappermaul ist immer voll von unsortierten Vokabeln, die sie gerne sortiert ausstoßen möchte.
Der Junge steht im Gang, zwischen Sandys Zimmer und dem großen Büro und weiß nicht was er machen soll.
Ich habe gehört, wie er Sandy angesprochen hat und die ihm antwortete: “Ey, du kannst ruhig erzählen, ich höre dir auch zu, wenn ich tippe.”
Etwas Ähnliches hatte Frau Büser ihm gesagt, so wie sie es auch zu meiner Tochter gesagt hat.
Jetzt sagt auch Manni zu meiner Tochter: “Ich hör dir trotzdem zu…”
Die Kinder kommen zu mir ins Büro, meine Tochter beklagt sich: “Papa, die hören mir alle nicht zu!” Mein Sohn beschwert sich: “Habt ihr alle was geraucht? Kein Mensch ist hier gesprächsbereit.”
Ich nicke nur und sage: “Ja ja, ich hör dir zu.”
”Nein, tust du nicht!”
”Doch, ich kann in Facebook was lesen und dir gleichzeitig zuhören.”
”Aber ich will dir auch was erzählen”, mischt sich jetzt die Kleine in das Gespräch zwischen mir und ihrem Bruder ein.
”Okay”, sage ich, nehme die Ohrhörer heraus, stecke das Handy in die Hemdtasche und schaue sie aufmerksam an.
Sie beginnt: “Also heute, da hat die Maja…”
Bis dahin lasse ich sie kommen, dann nehme ich mein Handy aus der Hemdentasche, schaue beiläufig drauf, stecke es wieder weg und lächele meine Tochter wieder an.
Sie beginnt erneut: “Also diese Maja, die blöde Kuh…”
Wieder nehme ich das Handy, lache kurz auf, tippe etwas auf dem Display herum und schon beschwert sich meine Tochter: “Siehste, du hörst mir doch nicht zu!”
”Tue ich wohl. Rede nur weiter.”
Nadine kommt herein, sie hat ihre Ohrhörer noch an, tippt unablässig auf dem Handy etwas ein und fragt mich: “Chef, wollen sie noch Kaffee?”
Ich schaue nicht von meinem Handy hoch, sie schaut mich auch nicht an und während wir beide wischen und tippen, sage ich: “Klar, ich nehme gerne noch eine Tasse.”
Ohne hinzugucken, nimmt sie die leere Tasse und geht.
Mein Sohn schaut seine Schwester an und tippt sich an die Stirn. “Papa, was macht ihr hier eigentlich? Spielt ihr irgendwas?”
Ich gönne ihm einen kurzen Blick, tippe dabei weiter und schüttele den Kopf.
”Komm, wir gehen wieder hoch zu Mama, hier ist ja nix los”, sagt er und nimmt seine Schwester und die beiden verlassen das Büro.
Ich folge ihnen unauffällig, Frau Büser, Nadine, Sandy, Antonia und die beiden Männer aus der Halle auch.
Die Kinder wollen gerade die Holztreppe nach oben hinaufgehen, da sehen sie am oberen Treppenabsatz die Allerliebste stehen, die ebenfalls teilnahmslos auf dem Handy herumtippt.
”Mama, was ist denn los?” fragt mein Sohn, doch meine Frau reagiert gar nicht.
”Du, die sind irgendwie von Zombies gebissen worden”, sagt der Junge zu seiner Schwester und die schaut mit aufgerissenen Augen in die Runde.
Das zumindest hatten wir nicht abgesprochen, aber Fuhlst fängt sofort an, sich unkoordiniert und mit steifen Beinen zu bewegen und stöhnt dabei. Sofort machen alle mit, jedoch ohne aufzuhören, auf ihre Handys zu starren.
Der Kreis der Erwachsenen zieht sich immer enger um die beiden Kinder, es ist ein Gestöhne und Gejammere, Frau Büser sieht besonders herrlich aus als Zombie!
Die Kinder versuchen wegzurennen, doch der Fuhlst erwischt sie beide gleichzeitig mit einer Hand und hält sie fest. Die Kleine schreit spitz und laut, der Große ist total verstört.
”Papa!” jammert er: “Was ist denn los mit Euch, ich krieg Angst!”
Vielleicht dauert es noch 20 Sekunden, dann höre ich auf mit dem Zombiespiel, stecke das Handy weg und setze mich vor meinen Kindern auf die Treppe.
Die anderen hören auch auf zu jammern und zu stöhnen, alle stehen da und hören sich an, was ich den Kindern zu sagen habe:
”Seht ihr, so wie wir uns jetzt gerade benommen haben, so benehmt ihr euch schon seit Monaten! Egal wann und wo man euch sieht, immer habt ihr das Handy vor der Nase. Erzählt man euch was, schaut ihr zwischendurch aufs Handy. Will man etwas von euch wissen und fragt euch was, so merkt man, daß ihr nämlich doch nicht zuhört, obwohl ihr das immer beteuert, ihr müßt dann erst noch einmal zurückfragen.
Ihr seid diejenigen, die sich wie Zombies benehmen; und da seid ihr übrigens nicht die Einzigen, selbst wenn eure Freunde und Freundinnen zu Besuch kommen, da klingelt niemand mehr bei uns, ihr habt euch vorher schon per SMS oder irgendeiner App kontaktier, ihr macht denen dann auf und die schleichen ebenfalls wie Zombies durch unser Haus.
Und da beschwert ihr euch, wenn wir das auch mal so machen?”