Es ist heiß, nein, es ist sogar fürchterlich heiß. Die Allerliebste winkt nur müde grinsend ab, als ich ihr anbiete, mich doch auf einer beruflichen Reise nach Hamburg zu begleiten.
”Nö, flieg Du mal schön, ich genieße hier meine Dachterrasse und werde mich sonnen, etwas Schönes lesen und die Ruhe genießen.”
”Die Ruhe?” frage ich spöttisch: “Mit den Kindern im Haus, wo soll da die Ruhe herkommen?”
”Flieg Du nur schön!” sagt die Allerliebste und tätschelt meine Wange, so wie es normalerweise die Mutter eines etwas zurückgebliebenen Kindes bei ihrem Kind machen würde, das es fertig gebracht hat, einen Schnürsenkel abzubeißen.
Die Fahrt zum Flughafen ist angenehm, die Autobahn ist leer und die Klimaanlage umhüllt mich mit arktischen Wohlfühltemperaturen. Erst in Frankfurt im Flughafenparkhaus schlägt mir, leicht nach Abgasen und Kerosin duftende Tropenschwüle in fast schon beleidigender Matschigkeit ins Gesicht. Ich bin froh, daß ich nur ein leichtes Sommerhemd trage und meinen Anzug im Koffer habe, damit ich ihn am nächsten Tag zum Vortrag anziehen kann.
Koffer, das ist eigentlich zuviel gesagt; für diese Zweitagesreisen nehme ich keinen Koffer mit, sondern einen Trolley, den ich mir erst vor einigen Monaten angeschafft habe. Er ähnelt mehr einer großen Aktentasche, ist nicht ganz so voluminös wie ein Pilotenkoffer, hat kleine Räder zum Rollen und einen ausfahrbaren Griff zum Ziehen. Das Besondere: Er ist zweigeteilt, auf der einen Seite ist Platz für eine begrenzte Menge an Kleidung und wenn man den anderen Reißverschluß öffnet, hat man ein großes Fach für Unterlagen, Akten, Laptop, Ladegeräte usw.
Das Problem ist ja, daß ich einen Tag vor dem Vortrag anreise, am nächsten Morgen mitsamt dem Gepäck aus dem Hotel und mit den Sachen zum Termin muß, um anschließend gleich wieder in die Heimat zu fliegen. Da ist so ein Koffer praktisch.
In Hamburg ist es irgendwie noch tropischer. Als ich aus dem Flugzeug aussteige scheint es mir, als klatsche mir jemand in der Sauna ein brühwarmes Handtuch um die Ohren, nachdem er einen Aufguß mit Fischsud gemacht hat.
Wenigstens hat das Taxi eine Klimaanlage, die hat der pakistanische Fahrer aber nicht an, er trägt eine Wollmütze und eine Jacke mit gefälschtem Jack Wolfsskin Logo. “In mein Heimat immer heiß, Deutschland immer kalt”, sagt er und zieht den Kragen seiner Jacke bei 37 Grad im Schatten noch etwas enger zu.
Mark Twain hat einmal gesagt, der deutsche Sommer sei ein grün angestrichener Winter. Ein kluger Mann, der aber damals, als er das schrieb, einen ganz besonders doofen Sommer erwischt haben muß, der von der Klimaerwärmung nichts mitbekommen hatte.
Die Lobby des Hotels ist kühl, die Dame am Empfang ebenso. Die Veranstalter haben mein Zimmer auf “Peter und der Taker Wilhelmtom” gebucht und das paßt nicht mit meinem Personalausweis zusammen. Sie zeigt mir das Fax mit der Zimmerbestellung und da steht alles ganz richtig. Bei Name/Vorname steht Wilhelm, Peter und in Klammern “Undertaker Tom”. Außerdem erwartet man zwei Personen, nämlich die Herren Peter und Taker mit dem Nachnamen Wilhelmtom.
Es dauert nicht sehr lange, höchstens 45 Minuten, bis das endlich geklärt ist und ich in mein extrem großes Doppelzimmer darf. Das Ehebett ist gemacht, es liegt auf jedem Kissen eine Rose und eine kleine Packung mit je sechs leckeren Pralinen.
Man geht wohl davon aus, daß die beiden Herren, und die hat man ausdrücklich erwartet, andersgläubiger geschlechtlicher Orientierung sind und gemeinsam in einem Ehebett schlafen. Nächstes Mal muß ich unbedingt darauf hinweisen, daß Taker auch ein mittelasiatischer Frauenname sein kann. Es reicht ja, wenn die mich für durchgeknallt halten, schwul muß ja nicht auch noch sein.
Wie schon so oft gesagt, ich habe nichts gegen Schwule, mich interessiert die sexuelle Orientierung anderer Menschen immer nur dann, wenn sie Kompatibilitäten mit mir anstreben.
Mir ist es zuwider, daß man bei heterosexuellen Menschen Themen wie Beruf, Urlaube, Freizeitverhalten und Einkommen für wichtig hält und Homosexuelle allein an ihrer Homosexualität definiert und das thematisiert.
Egal, so habe ich zwei Rosen, was mir eher scheißegal ist, aber die doppelte Menge Pralinen, die bringen mich in Verzückung.
Koffer auf das Gepäckbänkchen, Fernseher an und durchgezappt und dann das Allerwichtigste…
Nein, keine Dusche…
Handy und Laptop raus und abchecken, wie der Empfang ist, gibt es WLAN?
Doch dann dusche ich doch, mache mich, soweit so ein Unterfangen in meinem Alter überhaupt von Erfolg gekrönt sein kann, etwas schön und hänge, nur mit einem Handtuch um die Hüften, meine Klamotten in den Schrank.
Mir klingen die endlos wiederholten Worte der Allerliebsten in den Ohren: “Häng sofort die Sachen auf, sonst sind die verkrumpelt!” Mit ‘verkrumpelt’ meint meine badische Dauervertraute so etwas ähnliches wie verknittert.
Ich bin gerade dabei, meine Krawatte in den Krawattenhalter an der Schranktür einzufädeln, da klopft es an der Zimmertür.
So wie ich bin gehe ich hin und öffne. Vor mir steht eine kleine Koreanerin im Zimmermädchen-Outfit und sagt so etwas wie: “Tutte leide Ärkonddschen putt Söwiss komme!”
Sie lächelt scheu und schaut mich fragend an. Im Nachhinein bin ich davon überzeugt, daß ihr fragender Gesichtsausdruck sich auf ihre sprachlichen Defizite bezieht und sie wissen will, ob ich verstanden habe, daß sie mir sagen wollte, daß die Klimaanlage, die Aircondition, kaputt ist und der Service bald kommt. Doch, das hatte ich verstanden, genauso undeutlich prononcieren die Eingeborenen in meiner badischen Wahlheimat auch, nur noch unverständlicher.
Generös, wie ich halt so bin, und weil ich seinerzeit ihr fragendes Gesicht als Aufforderung zur freiwilligen Abgabe einer kleinen Trinkgeldgabe interpretierte, will ich in meine Hosentasche greifen, denke aber nicht daran, daß ich ja nur ein Frotteehandtuch um die Hüften habe und genau in dem Moment löst sich das Handtuch und Herr Wilhelmtom steht nackt wie Gott ihn schuf (obwohl mein Vater ja immer behauptet hat, er hätte das höchstselbst zustande gebracht) vor der kleinen Asiatin.
Nun bin ich ja ziemlich groß, die Frau ist wirklich sehr klein, also mehr so im Format Suzuki, und befindet sich quasi mit meinem Gemächt auf Augenhöhe…
Da stehe ich also wie einst die Herren Müller-Lüdenscheid und Dr. Klöbner, es fehlt nur die Quietscheente. Dafür überwindet die Koreanerin nach zwei Sekunden ihre Schreckstarre und quietscht höher und lauter, als eine Gummiente es jemals könnte und rennt, auf Koreanisch fluchend und schimpfend davon.
Okay, meinetwegen, bin ich also nicht nur schwul, von meinem Geliebten Taker überraschend verlassen, sondern auch noch ein perverser Zimmermädchenerschrecker…
Als ich wenig später zum Abendessen erst in der Lobby und dann im Restaurant erscheine, schauen mich alle Hotelbediensteten argwöhnisch und mit einem teils dreckigen Grinsen auf dem Lippen an. Komisch, da hat jeder verstanden, was die Koreanerin über diesen Vorfall zu berichten hatte.
Egal, ich komme nicht oft nach Hamburg, was schadet es also, wenn da mein Ruf ruiniert ist?
Das Abendessen ist gut, ich esse nicht so viel, ich will ja etwas abnehmen, denn wenn man schon nackt junge Frauen erschrecken will, sollte man wenigstens eine gute Figur haben.
Auf dem Zimmer mache ich es mir gemütlich, leide aber darunter, daß es immer heißer wird. Die Klimaanlage scheint nicht nur nicht zu kühlen, sondern mir kommt es vor, als heize sie.
Ich muß an den pakistanischen Taxifahrer denken (mit Touristenumweg 46 Euro!), der hätte sich da wohl gefühlt.
Wieder entkleide ich mich, diesmal bis auf die Unterhose, schaue aber vorher nach, daß auch wirklich das “Bitte nicht stören”-Schild draußen an der Tür hängt und diese auch verschlossen ist. Nochmal als Triebtäter möchte ich nicht in Verruf geraten.
Ich gehe meine Unterlagen durch. Ich will nicht, daß es am nächsten Morgen zu Mißverständnissen kommt. In letzter Zeit spreche ich häufiger vor Vertretern gewisser Berufsverbände und neulich erst hatte ich mich vor lauter Reisen in immer andere Städte und Hotels etwas desorientiert im Vortrag geirrt. Ich war der Meinung, vor der Berufsvereinigung der Glockengießer zu sprechen und hatte geschickterweise einige Passagen aus Schillers Glocke eingeflochten. (Für Generation YouTube: Das ist ein fürchterlich langes, aber sehr gutes Lied des Dichterfürsten Friedrich Schiller über die Herstellung einer Glocke, aus dem Leute, die so tun, als hätten sie was auf dem Kasten, gerne zitieren, um es vereinfacht zu sagen).
Tatsächlich stand ich aber vor Vertretern der deutschen Keramikwarenindustrie, die vornehmlich Waschbecken und vor allem Kloschüsseln herstellen, sich also Gedanken über die menschliche Entleerung machen, und zitierte, völlig aus dem Konzept gekommen:
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Was in des Dammes tiefer Grube fällt,
da wird es von uns zeugen laut.
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein.
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch bevor wir’s lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
In die Erd ist’s aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird’s auch schön zu Tage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Die Herren haben sehr gelacht.
Hinterher schlug mir Dr. Blombäcker auf die Schulter und bedankte sich überschwenglich für die gelungene Satire.
Na ja, Hauptsache es hat gefallen.
Dieses Mal in Hamburg will ich sicher gehen, kontrolliere alles noch einmal und gehe meinen Vortrag komplett durch. Es sind dieses Mal Damen und Herren aus der Lebensmittelindustrie und ich werde auf gar keinen Fall Schiller zitieren.
Über das Lesen werde ich müde, hüpfe auf das große Bett, dimme das Licht im Zimmer, stelle noch den Wecker im Handy, zappe mich wie wild durch alle Kanäle, drücke alle Bezahlangebote brav weg, packe eine Geschenkpackung mit Pralinen aus und lege sie als kleine Nachtzehrung neben mich, bleibe auf ARTE bei einem dreieinhalbstündigen Dokumentarfilm über mittelalterliche Ziehbrunnen auf Island hängen und Morpheus zieht mich mit aller Gewalt in seine Arme; ich schlafe ein.
Das hundsgemeine Handy entgeht nur mit Mühe und Not dem schlagartigen Tod an der Zimmerwand. Soll’s der Teufel holen, das elende Verreckerdings, das grausame Jaulschrapnell, dieses nervige chinesische Teil mit dem Logo aus Kalifornien.
Ich bin wach und stelle fest, daß es über Nacht noch heißer geworden ist im Zimmer, ich bin naßgeschwitzt. Also ab unter die Dusche!
Im grell beleuchteten Bad, gefühlt zehn Millionen LED-Lampen beleuchten alles wie mit Flutlicht, stapfe ich mit halbgeschlossenen Augen zur Toilette. Mir kommt Schillers Glocke in den Sinn und dann auf einmal zuckt ein Blitz durch mein Gehirn. Irgendeine Erkenntnis bahnt sich ihren Weg durch die morpheusgetrübten und noch im Energiesparmodus befindlichen Synapsen meines hitzegeschwächten Gehirns und mir kommt ein Bild in den Sinn, das ich auf dem Weg zum Klo nur so aus dem Augenwinkel, beim Vorbeigehen am Spiegel wahrgenommen hatte.
Schnell springe ich auf (ja, Sitzpinkler), gehe zum Spiegel und schaue mich an.
Was ist das denn?
Wer hat mich da in der Nacht in die Wange gebissen?
Eine doppelte Reihe von Zahnabdrücken ist tief in meine Haut gegraben und reicht vom rechten Ohr bis zum Kinn.
Um Gottes Willen! Das muß ein ziemlich großes Tier gewesen sein. Blute ich? Nein, Gott sei Dank!
Ich betrachte die Bißvertiefungen im Vergrößerungskosmetikspiegel und entdecke, daß auf einem Abdruck etwas steht: VCR. Auf einem anderen steht “Standby”.
Scheiße, ich bin auf der TV-Fernbedienung eingeschlafen!
Hoffentlich geht das weg, bis ich vor dem Lebensmittelleuten stehe!
Ich wanke ins Zimmer zurück und abermals trifft mich der Schlag.
Und wenn jemand denkt, die Geschichte mit dem Künstlernamen an der Rezeption, mein Nacktauftritt vor der Koreanerin und die tiefen Abdrücke in meinem Gesicht seien nicht mehr zu überbieten, der warte die nächsten Sätze ab!
Ich stehe vor meinem Bett und zweifle an mit selbst. Ich bin etwas über 50 Jahre alt, habe alle meine Körperfunktionen irgendwie unter Kontrolle, habe seit wenigstens 49 Jahren nicht mehr ins Bett gemacht, aber dieses Hotelbett habe ich von oben bis unten vollgeschissen.
Das ganze Laken, das Kopfkissen, das Deckbett, alles verschmiert…
Zurück ins Bad, Spiegel, auch mein Rücken ist mit brauner Masse verschmiert, so als hätte ich mich stundenlang in Exkrementen gewälzt, vom Nacken bis in die Kniekehlen.
Was ist das? Bin ich inkontinent geworden?
Ich springe unter die Dusche, dusche heiß, muß mich von der peinlichen Schmiererei befreien, doch dann folgt Erleichterung: Es macht sich ein Geruch nach Schokolade breit und schnell begreife ich, daß ich doch nicht an einer unkontrollierten Rektalentleerung gelitten hatte, sondern mich, von der schwülen Hitze im Zimmer gerieben, im Schlaf in meinen Betthupferl-Pralinen gewälzt habe.
Schnell bin ich wieder sauber, gehe zum Bett, ziehe es komplett ab, drehe den Schokoschmier so geschickt nach innen, daß man dem Bündel Bettwäsche nicht ansieht, was ich angestellt habe.
Ich rasiere mich noch, mache mich fein, packe alles wieder in meinen neuen tollen Doppelkoffer, verlasse das Zimmer und treffe im Gang auf die Koreanerin vom Vortag, die einen Reinigungswagen mit Bettwäsche vor sich her schiebt. Quiekend und mit angstgeweiteten Augen verschwindet sind in einem Zimmer.
Im Frühstücksraum esse ich nur etwas Rührei mit Speck und trinke eine Tasse Kaffee. Das Personal schaut mich an, wie einen Außerirdischen. Ach ja, der Abdruck in meinem Gesicht, er will und will nicht verschwinden, auch eine Massage mit Rasierschaum hat nichts gebracht.
Es sieht wirklich so aus, als habe mich ein Werwolf ins Gesicht gebissen.
Anschließend zur Rezeption… Das Zimmermädchen muß inzwischen in meinem Zimmer gewesen sein und mein Ruf als Kotschmierer muß sich schon bis zur Rezeptionistin herumgesprochen haben.
Die junge Dame nimmt die unterschriebene Abrechnung mit spitzen Fingern wieder entgegen, eigentlich nur mit den Spitzen ihrer Fingernägel…
Der Taxifahrer ist ein echter Hamburger, er grunzt nur kurz als ich einsteige und ihm mein Ziel nenne. Fünf Minuten bleibt er stumm, dann dreht der den Innenspiegel etwas, wirft einen Blick auf mich, grinst und meint: “He he, wohl gestern Abend auf dem Kiez in Lulus Sado-Maso-Laden gewesen, ha ha ha…”
Die Damen und Herren eines Spitzenverbandes der Lebensmittelindustrie schauen mich an, wie ein achtes Weltwunder. Ich grinse, zeige Überlegenheit, erkläre das mit der Fernbedienung, alle lachen.
Doch ich merke, daß die Anerkennung meiner Kompetenz leidet.
Was soll’s, ich trage doch noch einmal Schillers Glocke vor…
Zu Hause fragt die Allerliebste: “Na, wie war’s?”
”Gut, nur etwas heiß.”
”Was haste denn da im Gesicht?”
”Ist doch schon fast weg.”
”Weg? Du siehst aus, als hättest Du mal wieder auf der Fernbedienung gepennt. Ihr Männer müßte ja immer zappen, sowas können nur Männer fertigbringen, zappen durch alle Programme und pennen dann auf der Fernbedienung ein.”
Wißt Ihr jetzt, liebe Leser, warum ich diese Frau so liebe? Sie ist die Einzige, die mich versteht!