oder Das Unfreundliche ist die wahre Freundlichkeit. Vor einiger Zeit meinte
Johanna Adorján im Feuilleton der FAZ, dass der "Skandalauftritt" Katja Riemanns nur zeige,
"welch stumpfe Freundlichkeit wir inzwischen von Stars im Fernsehen erwarten". Das dürfte nur die verkürzte Sicht der Dinge sein. Stumpfe Freundlichkeit wird nicht nur in Interviews erwartet, sondern durchzieht diese schöne neue Welt als generelles Prinzip. Diese Gesellschaft nimmt für sich in Anspruch, selbst unbequeme Sachverhalte noch freundlich zu präsentieren. Dabei werden Typen immer rarer, Agendamenschen überschwemmen uns auf allen Kanälen.
"Hochgezüchtete Honigkuchenpferde" nennt der Kabarettist Helmut Schleich jene Kreaturen, die mit ihrer zweckorientierten Freundlichkeit auf jedes Gemüt schlagen. Ausdruck dieser Scharlatanerie sind manche Floskeln, behauptet Schleich.
Schönen Tag noch! sei zum Beispiel ein wenig beredtes Sputum der Überfreundlichkeit bis ins letzte Loch hinein.
Schönen Tag noch! wird mit solcher unaufrichtiger Penetranz gewünscht, wie am Fließband hingeklatscht, dass dabei nur noch ein verballhorntes
Schnentanoch! herauskommt. Schleich sagt, diese Redensart habe sich ohne Not eingebürgert, denn es gab vorher schon synonym dazu eine passende Phrase, die da lautet:e
Schleich Di!, (bay.); Hau ab!, Geh weg! [ugs.].
Schönen Tag noch! Schönen Tag noch! Tag noch! Tag noch! Man kann eintreten wo man will, überall derselbe Schmu von der Freundlichkeit, die das Mindeste sei, was man sich als Kunde versprechen dürfe. Früher hörte ich oftmals Leute sagen, sie arbeiteten gerne im Handel, der Kontakt mit Menschen würde ihnen entgegenkommen. Wieviel Geselligkeit und Freude am Umgang mit anderen Menschen benötigt man, wenn man an einer Supermarktkasse sitzt, an der die Kommunikation nach Kriterien einer Freundlichkeit arrangiert ist, die nicht Selbstzweck, nicht unbefangen ist, sondern nach Verkaufsstrategie und Absatzchancen aufgestellt?
Guten Tag. - Waren Sie mit Ihrem Einkauf zufrieden? - Sammeln Sie Punkte? - Vielen Dank für Ihren Einkauf bei Kaufland. - Auf Wiedersehen. Und weil es immer dieselbe Leier ist, leiert die Kassiererin es auch so runter. Ohne Punkt, ohne Komma, beständig derselbe Schleim. Das nennt sich Freundlichkeit in Zeiten der Warenwelt.
Sparen Sie sich den Scheiß!, habe ich schon mal zu einer Kassenkraft gesagt. Sie konnte aber freilich auch nichts dafür, ich wollte sie wie mich nur so von diesem überkandidelten Freundlichkeitsmist erlösen.
Schlimmer ist dieser Terror freundlicher Machart am Telefon. Die pure inhaltslose Freundlichkeit nimmt Bestellungen und Beschwerden entgegen, sagt Kontostände durch und klärt auf. Wobei man schnell feststellt, dass Callcenter nur in Sachen verlogener Freundlichkeit wirklich geschult sind, inhaltliche Kompetenz bekommt man nicht an den Hörer. Ob man bei Unity Media oder der Künstlersozialkasse anruft ist dabei einerlei, diese schmierige Freundlichkeit gibt es an beiden Stellen und Kompetenzlosigkeit auch. Als ich mal bei 1&1 anrief, weil ich dauerhaft Schwierigkeiten mit meinem Internetzugang hatte unterbrach mich der überfreundliche Mensch gegenüber gleich und sagte:
Moment, ich prüfe mal Ihre Leitung. Dann war Schweigen.
Ich kann Ihnen gratulieren, Ihre Leitung arbeitet einwandfrei. Auf so einen
friendly terrorism muss man erstmal kommen, jemanden zu einer Leitung gratulieren zu wollen - und das ganz an den Beanstandungen des Kunden vorbei. Wahrscheinlich zeigt das irgendein
Be friendly-Coach diesen Callcenter-
Freudianern genau so:
Wenn einer was will, blas' mal seine Leitung durch und beglückwünsche ihn, dann vergisst er sein Anliegen glatt. Bei Sky war es ähnlich, als ich vor Zeiten ein Abo abschloss, sagte man mir, nun würde es offiziell. Dann war Pause. Er nahm Luft und sagte:
Ich darf Ihnen nun hiermit zu Ihrem Sky-Abo gratulieren. Sie haben sich das beste Programm gesichert, das man haben kann. Die Fanfaren muss ich bei so viel offiziöser Aufmachung überhört haben.
Und dann kam die Riemann ins Studio, war gar nicht unfreundlich, einfach nur normal, nicht geziert übersüsst, sondern zurückhaltend und mit dem Schneid ausgestattet, nicht ins Tralala des Moderators einzustimmen. Und prompt sieht man darin Unfreundlichkeit. Wenn wir nicht beständig grinsen und zustimmen, nicht dauernd abgenudelte Sprüche, die etwas wie Freundlichkeit suggerieren sollen, von uns geben, dann nennen wir das schon unfreundlich.
Diese allgegenwärtige Freundlichkeit ist nicht einfach nur so in der Welt. Sie ist Konzept. Gehört zur Agenda der schönen neuen (Arbeits-)Welt, in der alles, was nicht gleich und unmittelbar als Freundlichkeit ins Auge springt, was also auch irgendwie negativ ausgelegt werden kann, verunglimpft wird. Teil dieses Konzepts ist es etwa nicht, das Brüske in dieser Welt zu lindern, sondern es einfach verdaulicher zu machen, indem man das Unerfreuliche einfach euphemisiert. Ein überteuerter Zugang zu einem Pay-TV-Sender wird gleich annehmbarer, wenn man freundlich gratuliert. Die Hatz durch die Flure des Supermarktes wird gekrönt, wenn am Ende eine Dame sitzt, die nach der Zufriedenheit fragt und einen Dreizeiler herunterkurbelt. Und die Sanktionen, die das Jobcenter seinem Kunden aufbrummt, werden leichter akzeptiert, wenn der Fallmanager freundlich bleibt beim Verhängen. Was ja vorkommen soll, Freundlichkeiten in Behörden. Und was ich selbst schon erlebt habe. Die freundlichen Sachbearbeiter hielt ich immer für verschlagener. Die waren meist so perfide, so undurchschaubar.
In
Good Fellas gibt es eine Stelle, in der benennt Ray Liotta (oder Robert De Niro?) das Prinzip der Jovialität als Mittel des Tötens. Fällt ein Mitglied der ehrenwerten Familie in Ungnade und soll aus dem Weg geräumt werden, so schickt man keinen fremden Killer:
"Deine Mörder kommen mit einem Lächeln. Sie kommen als deine Freunde, als Leute, die sich dein ganzes Leben lang um dich gekümmert haben." In der intimen Vertraulichkeit, die ein freundliches Gesicht vermittelt, ist der Genickschuss besser zu platzieren und Kampfhandlungen sind so gut wie ausgeschlossen. Die zweckorientierte Freundlichkeit, mit der wir in dieser Gesellschaft um uns werfen, ist nicht Kulturleistung einer friedlich-freundlichen Zeit, sondern eher vergleichbar mit dem freundschaftlichen Killer, der schmunzelt ehe er abdrückt.
Diese Inflation der Freundlichkeit, die gar keine ist, stimmt mich nicht positiv. Das macht eher melancholisch und verärgert. Stewardessen leiden häufig unter depressiven Phasen, las ich vor Jahren, weil sie immer lächeln müssten und dauerhaft Freundlichkeit ausstrahlen sollen. Ein Mensch aber, der eigentlich aus seelischen Gründen die Körperhaltung und Mimik von Müdigkeit oder Traurigkeit einnehmen möchte, sich jedoch gekünstelt Freundlichkeit ins Gesicht stempelt, also auch seinem Gehirn wider der Hormonausschüttung vorgaukelt, es sei alles blendend, gerät in ein Dilemma. Die Lachtherapie, die man schon öfters in innovativen Fernsehsendungen gesehen hat, ist ein fader Hokuspokus, weil sie weismachen will, dass man durch künstliches Lachen dem Körper vormachen könnte, es gehe einem gut, weil man dadurch Glückshormone erzeuge, die nicht auf Glück basieren, sondern Glück erzielen. Die Verkehrung des Prozesses also, Glück auf Basis des Selbstbetruges. Und da jeder Betrug früher oder später aufgedeckt wird, verwundert es nicht, dass der Stewardess Berufsrisiko die Depression ist, verstärkt durch den Zwang, ein ewigjunges Püppchen zu bleiben - und es wundert nicht, dass ich mich von künstlicher Freundlichkeit nicht freundlich anregen lasse, sondern sauer werde.
Ein Lob auf die Unfreundlichkeit anzustimmen mag unsinnig sein. Aber authentische Unfreundlichkeit ist die viel besser Freundlichkeit als jene, die in Marketingkursen und Verkaufscoachings angelernt wird und mit
Schönen Tag noch! jedes Kundengespräch beendet. Ein unfreundlicher Gegenüber zeigt wenigstens an, dass er noch ausreichend Charakter in sich hat, diesen ganzen sonnendurchfluteten Verbalscheiß abzulehnen. So gesehen ist der Unfreundliche für mich ein freundlicherer Zeitgenosse, als irgendeine sprachlich auf angepasste Nettigkeit gestylte Verbissenheitslächlerin.
Friedrich Hengsbach prägte schon vor Jahren den Begriff Agendamensch. Aalglatte, hörige, überflexibilisierte, am Zeitgeist horchende, ohne verinnerlichte Bindungen lebende, egoistische, den Regeln des Marktes folgende Zeitgenossen, die sich unkritisch in ein Lebensschema fügen, in dem sie den Status von Knetmasse annehmen. Solche Agendamenschen sind es auch, die dem Zeitgeist seinen freundlichen Anstrich verpassen. Freundlich in Anführungszeichen. Ihre Agenda ist der Zeitgeist. Und der ist nicht freundlich, sondern knallhart ökonomisch. Sie geben dieser Zeit nur ein Gesicht, das sie nicht verdient hat. Und das in allen möglichen Lebens- und natürlichnatürlich Konsumsituationen.
Dieser Moderator, der die Riemann mit seinem Tralala und Hopsasa und
Seien Sie doch mal positiv!-Gehampel nervte, war so ein typischer Agendamensch. Bei denen muss einem das Kotzen doch nur so kommen. Und denen dann nur auf den Teppich zu speien und nicht direkt in ihre stumpfe Freundlichkeitsvisage, nenne ich wiederum einen ganz besonders freundlichen Zug.